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Ulrike Bals | con-text ideenlabor
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Jedes Mal wenn er nach Hamburg reist, nimmt er sich ein Zimmer im Radisson Hotel. Ganz oben muss es sein, in dem alten Scheibenhochhaus vergangener Wirtschaftswunderjahre. Dort stellt er sich dann an ein Fenster und schaut hinab. Lässt seinen Blick schweifen über die endlos gefaltete Landschaft der Dächer, bis er jenen blinden Fleck findet, der eine befreiende Öffnung in die Ordnung der Stein gewordenen Geometrie reißt: Inmitten der Stadt schafft die gestaute Flussmündung der Alster eine gigantische Freifläche. Segelboote gleiten über den wässerigen Himmelsspiegel, genau wie vor 40 Jahren, als hier seine Suche nach dem eigenen Weg begann.
Am Anfang steht das Wort – im Werk und auch im Leben des 1939 in Innsbruck geborenen Architekten und Tessenow-Preisträgers Heinz Tesar. Vielleicht ausgelöst durch die frühe Begegnung mit dem Dichter Fritz Gordian, den er als 14-Jähriger auf einer Zugfahrt kennen lernt. Der väterliche Freund unterstützt die künstlerischen Neigungen des eher in einfachen ländlichen Verhältnissen aufgewachsenen Jungen und bereist mit ihm sechs Wochen lang halb Italien. Ihm gilt auch Tesars erstes architektonisches Projekt: ein unterirdisches Schreibzimmer für den Dichter in der Toskana.
Nach Abschluss seiner Ausbildung zum Hochbautechniker an der Bundesgewerbeschule zieht Tesar 1959 mit seiner Frau nach Hamburg. Zwei Jahre arbeitet der 20-jährige hier in einem statischen Ingenieurbüro und berechnet Stahlbewehrungen. Eine trockene Übung für einen jungen Mann, der nach Irregulärem strebt und sich weit mehr der Malerei als der Architektur verbunden sieht. „Das war gut für mich“, sagt er rückblickend und lacht schelmisch: „Wenn’s sein muss, kann ich heut sogar unsympathisch präzise sein. “ Doch seine Mittagspausen verbringt er lieber in der Kunsthalle, er beschäftigt sich intensiv mit der Moderne und malt auch selbst.
Nach Österreich zurückgekehrt, studiert Tesar von 1961 bis 1965 an der Wiener Akademie der Bildenden Künste Architektur. Dass sein Lehrmeister der strenge Funktionalist Roland Reiner ist, mag man heute kaum glauben. Aber auch künstlerisch entwickelt er sich weiter. In einer Serie von „Embryobildern“ und dreidimensionalen Objekten, den „Homotypen“, untersucht er systematisch den Geburtsprozess von Form und fließender Geometrie. Die Arbeiten werden 1970 in der Wiener Galerie Griechenbeisl erstmals ausgestellt. Als räumliche Kernthemen und subjektive Urformen bleiben sie prägend auch für seine spätere Arbeit als freier Architekt.
An die Stelle der Malerei tritt die architektonische Zeichnung. Sie ist für ihn im Prozess der Gestaltsuche ein ebenso bedeutendes Instrument, wie die vorangehende sprachliche Auseinandersetzung mit einem Thema. Mit seinen eigenwilligen, zuweilen bizarren Notaten hat er inzwischen bereits 116 Notizbücher gefüllt: „hallwandkörperantwort“ lautet da etwa ein rätselhafter Eintrag, oder „herzpfeilergedenkkreisbrückenkopfsynagoge“ . Einige dieser Wortschöpfungen zeigt derzeit, neben aquarellierten Entwurfsskizzen und Architekturmodellen, die Ausstellung „raumpartikel, wasserfarben, drucke“ in der Hamburger Galerie Renate Kammer. Tesar selbst betrachtet seine Notate allerdings keineswegs als Poesie, sondern vielmehr als fragmentarische Denkübungen. Die sprachliche Fixierung der projektspezifischen Merkmale dient gleichsam dem Auslösen einer assoziativen Kettenreaktion wie dem möglichst langen Herauszögern jeder konkreten Vorstellung von Form. Eine geduldige Kopfgeburt also: Erst wenn der konzeptionelle Ansatz ausgereift ist, darf die Zeichnung als körperhafte Anmutung folgen.
Für Tesar ist Architektur nichts anderes als stumme Gestik. Wie ein Clown müsse auch der Architekt den Moment einfangen und transformieren, in seinem Bauwerk „versteinern“. Freilich keine Philosophie, die auf Massenproduktion zielt. Und so ist das Werk des Wiener Baukünstlers auch nicht sehr umfangreich, aber sehr vielfältig und unverwechselbar in seiner räumlichen Metaphorik und lustvollen Dramaturgie der Lichtführung.
Sakrale und museale Bauten überwiegen denn auch. Unter ihnen sind wichtige Arbeiten wie die Sammlung Essl in Klosterneuburg und das Keltenmuseum in Hallein. Sein derzeit größtes Bauvorhaben ist der Umbau des Bodemuseums auf der Berliner Museumsinsel über David Chipperfields archäologischer Promenade. Und erst kürzlich hat er die katholische Kirche in der Wiener Donaucity fertig gestellt: einen „Kreuzquader mit Naturlichtnotaten“. Die archaische Urform des Würfels verletzen kubische Eckaussparungen, deren Abmessungen mit der Zahlensymbolik der Acht spielen. Das lichte Innere steht im überraschenden Kontrast zu der abweisenden, mit geschwärzten Chromstahlplatten gepanzerten Aussenfassade. Punktförmige Anbohrungen der Oberfläche erzeugen jedoch die Illusion eines inwändigen Leuchtens. „Erst die Verletzung bringt den eigentlichen Wert des Materials zur Geltung“, notiert Tesar: Nur so viel Leid kann so viel Schönheit. ULRIKE BALS
Ulrike Bals | con-text ideenlabor
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