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Wenn sie Nervenkitzel im Leben suchen, ein Rat: Werden sie Architekt. Vom Gipfelsturm bis zum freien Fall bietet nämlich gerade die bauende Zunft – allen Klischees zum Trotz – ein ungeahntes Repertoire an Abenteuern. Einschlägige Erfahrungen dieser Art hat jedenfalls das weltweit agierende Hamburger Planer-Duo Meinhard von Gerkan, 66, und Volkwin Marg, 65, gemacht. Während annähernd vier Jahrzehnten haben sie nicht nur ihre inzwischen 270 Mitarbeiter starke Entwurfsfabrik gmp (von Gerkan, Marg und Partner) aufgebaut, sondern auch zwischen Moskau und China einige skurrile Dinge erlebt.
Den Anfang ihrer steilen Karriere umranken bereits bizarre Legenden. Kaum dass die beiden Studenten der Braunschweiger Technischen Universität ihr Diplom absolviert haben, gewinnen sie 1965 mit Klaus Nickels den Europa weiten Wettbewerb für den Flughafen Berlin-Tegel – ein gigantisches Projekt mit einer Gesamtbausumme von über 500 Millionen Mark. Allerdings hat das jung aufstrebende Siegerteam damals noch nicht einmal ein Gartenhaus errichtet. Was also tun, wenn plötzlich das Telefon schrillt und sich Bauherrenbesuch aus Berlin ansagt?
Marg und Gerkan, so die Legende, verwandelten kurzerhand eine DreizimmerWohnung in ein potemkinsches Büro: Hastig herbeitelefonierte Kommilitonen saßen in weißen Kitteln mit Rapidographen und Reißschienen bewaffnet an Zeichentischen und malträtierten emsig alte Studienentwürfe. „Alles unwahr“, meint Meinhard von Gerkan: das Ereignis habe sich in der Eingangshalle einer feudalen Vorstadtvilla abgespielt. Keine Tische, keine Mitarbeiter. Dafür gab es drei Sorten Tee, ein edles Service für zwölf Personen, hochfeine Gläser sowie vier verschiedene Whiskys und Havanna- Zigarren. Während dieses kulinarische Angebot bei den eintreffenden Herren eher eine gewisse Irritation hervorrief, beeindruckten die hämmernden Anschläge einer Reiseschreibmaschine, traktiert von Frau von Gerkan in der Besenkammer nebenan.
Zwei Partner, zwei Wahrheiten. Doch wie auch immer – schließlich geschah das Unvorstellbare und gmp erhielten von der Berliner Flughafengesellschaft den begehrten Planungs- und Bauleitungsauftrag. Nahezu in allen großen Städten der Bundesrepublik und vielen ausländischen Metropolen haben sie seither geplant und gebaut. Ihre kürzlich erschienene, opulent aufgemachte siebenbändige Werkbilanz „Von Gerkan, Marg und Partner: Architecture 1978-1999“ umfasst neben unzähligen Entwürfen über 170 realisierte Projekte: Hotels und Einfamilienhäuser, Theater und Konzerthallen, Einkaufspassagen, Messehallen, Bürogebäude und Kliniken, Bahnhöfe und natürlich auch noch weitere Flughäfen. 1974 werden gmp überraschend aufgefordert, das internationale Terminal für den Flughafen Moskau zu konzipieren. Etwas suspekt erscheint es ihnen schon, dass die UdSSR für ein derartiges Prestigeobjekt ausgerechnet ein deutsches Architektenteam beauftragen sollten. Aber nach mehreren Treffen mit dem Bauherrn in Moskau bei Rauchwürsten und Wodka ist die anfängliche Skepsis bald hinuntergespült. Erst mehrere Monate und Entwurfsvarianten später erfahren sie, dass nebenher noch weitere 29 Büros im Rennen waren. Nach Abschluss der Planungen – bis dahin ohne einen Pfennig Honorar – verschwindet plötzlich auf mysteriöse Weise der komplette Plansatz des Flughafens aus der gmp-Baubaracke in Tegel. Und über Nacht zaubern ein Hannoveraner Generalunternehmer und ein Architekt einen Gegenentwurf zu unschlagbaren Konditionen.
„Wir hatten Vorkosten von nahezu zwei Millionen investiert, unsere weitere Existenz hing am seidenen Faden“, erinnert sich von Gerkan an die heikle Situation. Nach langen Verhandlungen entscheiden sich die Russen für die Flughafen-Sparversion und gmp erhielten lediglich eine Abfindung. Der dubiose Generalunternehmer realisierte den Bau zwar fristgerecht, doch mit einem Verlust von 70 Millionen Mark musste er bald darauf Konkurs anmelden.
Bald ein neuer Anruf: diesmal ist es der Schah von Persien, der den eben noch von deutsch-russischer Mafia gebeutelten Architekten seine Glückwünsche ausrichten lässt. Sie haben gegen eine internationale Konkurrenz von 600 Mitstreitern den Wettbewerb der Pahlavi-National-Bibliothek in Teheran gewonnen. Glücklich packen die Architekten also ihr Modell in eine Kiste und fliegen nach Teheran. Besonders an den Rückflug erinnern sich von Gerkan und Marg noch gerne: Via Hamburg und Johannesburg nach Sidney folgt sie streng der Rangfolge der ersten drei Preisträger. Realisiert wurde das Projekt später nicht – die Revolution machte dem Schah-Regime und den großen Plänen der hanseatischen Architekturrevolutionäre ein Ende.
Doch was sind schon zwei, drei Bauruinen gegen die zahlreichen Preise und mehr als 140 erstrangigen Wettbewerbsgewinne, die gmp bis heute erstritten haben? Mit ihrer praktischen Sichtweise der Architektur als eine „Kunst des Möglichen“, eingebunden in die jeweiligen funktionalen, lokalen, gesetzlichen und ökonomischen Bedingungen, haben sie sich an die Spitze der Gegenwartsarchitektur katapultiert und eine Position jenseits aller Ismen gefunden. Gmp ist nicht postmodern und nicht technizistisch – sondern gmp. Ein eigenes Label, dass man sofort erkennt. Formalen Experimenten und Extravaganzen begegnen sie dagegen eher skeptisch. Gmp setzen auf die Identität, die einem Bauwerk durch seine einzigartige Ausgangssituation innewohnt. Diese als klare, ablesbare Struktur herauszukristallisieren und mit hoher Qualität baulich umzusetzen, ist ihre große Stärke.
In jüngster Zeit zieht es die Hamburger Abenteurer wieder ins Reich der Mitte. Ihre kürzlich eröffnete Deutsche Schule in Peking gilt schon jetzt als Mekka chinesischer Architekturstudenten. Und gerade haben sie den ersten Preis und Bauauftrag für das Messe- und Kongresszentrum in Shenzen erhalten, eines der größten Infrastrukturprojekte im Süden.
Fataler Weise misst man jedoch in China gute Architektur an der Größe der Geste. So haben gmp nun doch noch lernen müssen, den Drachen zu reiten: Das chinesische Symboltier mäandriert jedenfalls fröhlich durch den Grundriss ihres Hangzhou Tourismus Centers. Und aus dem Hallendach der Messe in Nanning wächst gar eine Membrankuppel als Lotusblüte. ULRIKE BALS
Ulrike Bals | con-text ideenlabor
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